Im September 1796 sorgte ein schwerer Einbruch in das Neusser Rathaus, in welchem sich damals auch das Stadtarchiv mit den Archivkisten befand, für großes Aufsehen. Das Archiv war zu dieser Zeit über der Passage, links zwischen Rathaus und Gasthaus „Zum Bären“, untergebracht.
Man ging sogleich davon aus, dass Einbruch und Plünderung, die mit äußerste Brutalität ausgeführt wurden, das Werk der Räuberbande um Mathias Weber - genannt „der Fetzer“ - gewesen seien. Die Bande hatte ihr Quartier in verrufenen Lokalen auf der Furth und verkehrte in manchen Gasthäusern der Stadt, so zum Beispiel im „Bären“. Und genau von dort aus sind die Räuber in die Räume des Stadtarchivs eingedrungen.
Der Einbruch fand in einer Epoche statt, in der die Lebensbedingungen der Neusser Bürger alles andere als gut waren. 1794 war die französische Armee in Neuss einmarschiert, gerade als im Zuge der Französischen Revolution die Terrorherrschaft der Jakobiner zu Ende gegangen war. Die Besatzer im Rheinland verlangten hohe Kontributionen, die ohne Rücksicht auf die missliche Lage der Einwohner eingetrieben wurden.
Die Truppen der französischen Eroberungsarmee, die fortlaufend durch Neuss marschierten und sich teilweise niederließen, mussten einquartiert und verpflegt werden. Verlangt wurden u.a. Brot, Stroh, Heu und Weizen in großen Mengen. Kühe und Schafe wurden requiriert. Auch Schuhe mussten für die Soldaten hergestellt werden. Es wird berichtet, dass nicht wenige Bürger, ihrer Lebensgrundlage beraubt, verhungerten.
Nationalgarde und Polizei, zuständig für die Sicherung der Grenzen und für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den Städten und auf dem Lande, wurden erst Anfang der 1800er Jahre aufgestellt. 1796 aber herrschte noch ein Klima der Unruhe und Unzufriedenheit. Die existierenden Räuberbanden hatten dabei reichlich Möglichkeit, ihr Unwesen zu treiben.
Zurück zum Einbruch ins Neusser Rathaus: Alle Türen, innen und außen, wurden mit Gewalt aufgebrochen, alle Kisten und Schränke geöffnet und durchsucht. Geld und das aufbewahrte Silberwerk der Kirchen wurden geraubt und, was nicht wertvoll war, beschädigt und liegen gelassen. Um die Kisten und Truhen ungestört zu untersuchen, wurden sie in Räume geschleppt, die kein Fenster zur Straße hatten. Briefe und Dokumente wurden achtlos verstreut auf dem Boden zurückgelassen. Besichtigt wurden die Schäden im Beisein des Vogts und sämtlicher Schöffen. Ein Protokoll der Tatortbesichtigung, das durch das Gericht, den Vogt und die Schöffen verfasst wurde, ist im Stadtarchiv überliefert (B.02.01 Kurkölnische Verwaltung, Nr. 274, S. 1-8).
Der Bericht über die Art und Weise, wie schwere Türen aus Eichenholz aufgebrochen, wie eiserne Schlösser und Riegel gesprengt wurden, was man entwendete, macht deutlich, wie gut vorbereitet die Räuber gewesen sein müssen. Sie hatten gute Kenntnisse sowohl über die sich im Stadtarchiv befindlichen Gegenstände als auch über die Lage der Räume im Rathaus und wussten, dass sie Zeit haben würden, um ihr zerstörerisches Werk ungestört zu vollenden.
Wie viel vom städtischen Geld verloren ging, konnte am Tag der Entdeckung noch nicht genau bestimmt werden. Sämtliche Goldschmiede, sowohl hiesige als auch die in der Umgebung (Aachen, Düsseldorf, Köln, Krefeld, etc.), wurden über den Einbruch unterrichtet. Für den Fall, dass ihnen jemand das ein oder andere Stück der geraubten Preziosen zum Verkauf anbieten würde, sollte der Überbringer festgenommen und dem hiesigen Gericht darüber Nachricht gegeben werden.
Am 19. Oktober 1796 wurden der „Fetzer“ und drei weitere Räuber auf der Neusser Furth festgenommen und im Windmühlenturm eingesperrt. Und obwohl man sie hinter den dicken Mauern sicher verwahrt glaubte, gelang ihm und einem Komplizen am 2. November die Flucht über die Decke des Untergeschosses und die Leintücher der Mühlenflügel. Die restlichen Mitglieder könnten sich später ebenfalls befreien und die Bande setzte ihre Raubzüge durch andere Regionen fort, bis der „Fetzer“ im Februar 1803 in Frankfurt (Main) gefasst wurde. Nachdem ihm in Köln der Prozess gemacht worden war, starb er 1803 unter dem Fallbeil.
Donnerstag den 15 Septembris 1796.
in extraordinaria
Præsent. D.D. omnibus
Einbruch ins StadtArchiv
Auf Anzeige des hiesigen Stadtraths,
daß derselbe diesen Morgen,
als er um einige Urkunden nach-
zusehen auf die hiesige Stadtarchiv
gehen wollte, alle äußere und
innere Thüren erbrochen gefunden,
auch alle Käste und Schränke mit
Gewalt geöfnet wären, das darin
befindliche Kirchen Silberwerk, so
wie auch das noch vorrätige stadtische
Geld verlustig gewesen, hat
das hiesige weltliche Gericht in
Beiseyn des H. Vogten und
sämmtlicher Scheffen die Besichtigung
vorgenommen;Fürs erste hat man befunden,
daß die aufm Rathhausgang be-
findliche zwei vordere Thüren
mit Gewalt erbrochen, und deren
Schlößer und Riegel zersprengt
gewesen; von dort aus fande
man weiter, daß auf dem
Aufgange zum Archive eine fernere
Thür erbrochen, und das darauf
befindliche Schloß abgerissen
auf der Erde sich befunden.Man verfügte sich nun weiter
zum Vorzimmer der Archive,
wessen starke eichene Thür auf ver-
schiedenen Platzen mit Brecheisen
aufgepfändet sich befande. Auf
diesem Vorzimmer befande sich
die Hauptarchivkiste, welche bei
der nemlichen Gelegenheit von
dem Hauptarchivzimmer,
welcher Straßenwerts geht, dorthin
getragen worden, vermutlich um
desto sicherer und ungestörten
dieselbe brechen zu können;
diese Kiste fande sich auch offen
und ganz ausgeleert, und die
dazu gehörige sehr massive
drei Hängschlösser mit Gewalt
erbrochen.Ferner fande sich
daselbst ein zum Tabernakel
gehöriger Zierath, wobei das
Holz zwar noch unversehrt, das
darauf geschlagene Silber aber
abgebrochen und verlustig war .
Ferner lagen aus verschiedenen
ebenfalls erbrochenen kleinen
Kistgen die Briefschaften auf
dem Boden hingestreut, die
aus dem Vorzimmer auf die
Hauptarchiv ausgehende
mit zwei eisernen Bäumen und zwei
Hangschlösser versehene eiserne
und noch eine fernere hölzerne Thür
fande sich ebenfalls erbrochen .Auf dem Archive fande sich eine
sonst allda hängender stadtischer
silberner Stab etwa 1 1/2 Fuß
lang verlustig, und waren alle
befindliche Kasten mit Gewalt
aufgebrochen, die darin verwahrt
gewesene Kirchenzierathen als
nemlich acht silberne Leuchter,
wovon zwei verbrochen, ein silber
vergoldeter Becher, zwei silberne
Pollen* mit einem Teller, ein
silberner Rosenkranz sammt Kron
und Zepter, drei vergoldete silberne
Stücke sammt Kreutz, auch ein
silber vergoldetes Marienbild,
ein silber Kröngen sammt Stern,
noch zwei silberne Kreutzger, und
1 silberner H. Geist, fort ein mit schweren goldenen
Borden und Franzen versehener
sammtne grüne Umhang um
den Himmel, sodane ein
silbernes Crucifixbild, wovon
das holzerne Kreutz verbrochen
noch rückgelassen worden, waren
alle verlustig. Wie viel vom stadtischen
Gelde verlohren gegangen,
könnte bis nach genommener Einsicht
micht genau bestimmt werden.Worauf
dann das Protokoll geschlossen, und
an die hier sowohl als in den Stadten
Düsseldorf, Köln, Kreifeld, Uerdingen
und Aachen wohnende Goldschmidt ein
Avis Schreiben, um wenn vieleicht
von obgedachten Sachen ein- oder
anderes Stuck zum Verkauf
angebothen werden sollte, den
Anbringer zu arretiren, und
hiesigem Gericht davon Kundschaft
mitzuteilen zu erlassen ver-
beschieden worden.*Anmerkung: Pullen = Kannen